Bindungszustände mit gerader Parität

Wir beginnen mit der Suche nach Energieeigenwerten mit geraden Energieeigenfunktionen und betrachten zunächst die Möglichkeit, daß gebundene Zustände auftreten, also Energieeigenwerte $ E<0$ existieren. Setzen wir wieder $ \epsilon=2mE/\hbar^2$ und $ U_0=2 m V_0/\hbar^2$, haben wir

$\displaystyle \psi''(x)=\begin{cases}-(U_0+\epsilon) \psi(x) & \text{f\uml {u}r...
...$}, \\ -\epsilon \psi(x) & \text{f\uml {u}r $\vert x\vert \geq b$}. \end{cases}$ (58)

Es ist weiter von vornherein klar, daß $ \epsilon \geq -U_0$ und also $ U_0+\epsilon \geq 0$ sein muß. Da die Wellenfunktion gerade sein soll und im Unendlichen nicht exponentiell wachsen darf, ist die Lösung eindeutig durch

$\displaystyle \psi_E^{(+)}(x)=\begin{cases}A_1 \exp(-\kappa_1 \vert x\vert) & \...
...t>b$}, \\ A_2 \cos(k_2 x) & \text{f\uml {u}r $\vert x\vert \leq b$} \end{cases}$ (59)

mit $ \kappa_1=\sqrt{-\epsilon}$ und $ k_2=\sqrt{U_0+\epsilon}$ gegeben. Die Wellenfunktion muß bei $ x=b$ mitsamt ihrer ersten Ableitung stetig sein. Das ergibt das homogene lineare Gleichungssystem

\begin{displaymath}\begin{split}A_1 \exp(-\kappa_1 b)-A_2 \cos(k_2 b) &=0,\\ -A_1 \kappa_1 \exp(-\kappa_1 b) + A_2 k_2 \sin(k_2 b) &=0 \end{split}\end{displaymath} (60)

als Bedingung für die Konstanten $ A_1$ und $ A_2$. Damit dieses Gleichungssystem von der trivialen Lösung $ A_1=A_2=0$ verschiedene Lösungen haben kann, muß die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwinden, und das führt nach ein paar einfachen Umformungen auf die Bedingung

$\displaystyle \tan(k_2 b)=\frac{\kappa_1}{k_2},$    d.h. $\displaystyle \tan(b \sqrt{U_0+\epsilon}) =\sqrt{\frac{-\epsilon}{U_0+\epsilon}}.$ (61)

Die letzte Form der Gleichung zeigt, daß es sich um eine Bedingung an die Energieeigenwerte $ E=\hbar^2 \epsilon/(2m)$ handelt.

Diese Gleichung läßt sich nicht geschlossen lösen, aber wir können sie leicht graphisch analysieren. Dazu führen wir die neue Variable $ y=b k_2=b \sqrt{-\epsilon}$ ein. Dann schreibt sich die Gleichung

$\displaystyle \tan y=\sqrt{\frac{U_0b^2-y^2}{y^2}}.$ (62)

Offenbar muß also $ 0<y<\sqrt{U_0 b^2}$ sein, und wir müssen untersuchen, wo Schnittpunkte zwischen den Graphen der Funktionen auf der linken und rechten Seite existieren. Deren $ y$-Werte sind dann offenbar die gesuchten Lösungen. Betrachten wir dazu den linken Plot in Abb. 4.
Abbildung: Zur graphischen Lösung der Eigenwertbestimmungsgleichungen für gerade (links) und ungerade Eigenfunktionen rechts, cf. Gln. (61) und (69).
\includegraphics[width=\textwidth]{bound-states-evs-topf-gerade}
\includegraphics[width=\textwidth]{bound-states-evs-topf-ungerade}

Hier haben wir $ U_0$ und $ b$ gerade so gewählt, daß $ \sqrt{U_0
b^2}=20$. Wir werden diese Wahl für alle unten gezeigten Simulationen von Wellenpaketen beibehalten. In schwarz sind die positiven Zweige des Tangens aufgetragen in rot der Graph der Funktion auf der rechten Seite von Gl. (62). Da diese Funktion monoton fällt und für $ y
\rightarrow 0$ divergiert, gibt es für jeden Wert von $ \sqrt{U_0 b^2}$ wenigstens einen Schnittpunkt (und also einen Energieeigenwert) mit dem Zweig des Tangens im Bereich $ y \in [0,\pi/2)$. Weitere Eigenwerte sind möglich, wenn $ \sqrt{U_0 b^2}$ größer ist, und zwar gibt es genau einen Schnittpunkt mit jedem Zweig des Tangens, der im Definitionsbereich $ 0<y\leq \sqrt{U_0 b^2}$ liegt. Wie aus der allgemeinen Diskussion zu erwarten, sind also die Energieeigenwerte zu gebundenen Zuständen diskret.

Man überlegt sich leicht, daß die Anzahl der Energieeigenwerte mit geraden Eigenfunktionen

$\displaystyle n_+=\left[\frac{\sqrt{U_0 b^2}}{\pi} \right]+1$ (63)

ist, wobei $ [x]$ für die größte natürliche Zahl, die $ \leq x$ ist, steht. Dabei fällt die $ n$-te Lösung ins Intervall

$\displaystyle y_n \in [(n-1)\pi,(n-1/2)\pi), \quad n \in \{1,2,\ldots,n_+ \}.$ (64)

Damit lassen sich sämtliche Lösungen der Gleichung (61) numerisch mittels des Bisektionsverfahrens zuverlässig berechnen. Die dazugehörigen Eigenfunktionen sind dann durch Lösung einer der beiden Gleichungen von (60) als die Funktion (59) gegeben:

$\displaystyle A_1=\exp(\kappa_1 b) \cos(k_2 b) A_2.$ (65)

Da die Determinante für jeden Eigenwert verschwindet, ist dann die andere Gleichung von (60) automatisch ebenfalls erfüllt. Die Konstante $ A_2$ ist schließlich durch die Normierungsbedingung

$\displaystyle \int_{-\infty}^{\infty} \dd x \vert\psi_n^{(+)}(x)\vert^2=1$ (66)

bestimmt. Das Integral existiert mit Sicherheit, da die Wellenfuntionen im Unendlichen exponentiell abfallen. Nach Auswertung desselben gelangt man schließlich auf

$\displaystyle A_2=\left [ b+\frac{\cos^2(k_2 b)}{\kappa_1} + \frac{\sin(2 k_2 b)}{2 k_2} \right ]^{-1/2}.$ (67)

Hendrik van Hees
2019-11-08