Liouvilles Theorem

Ein dynamisches System ist definiert durch n Zustandsvariablen zu einer Zeit t

Gleichung1

Diese Variablen beschreiben in eindeutiger Weise den Zustand des Systems im Phasenraum (Menge aller Punkte ), wenn z.B. das zugrunde liegende System von Differentialgleichungen 1. Ordnung die Lipschitzbedingungen erfüllt. Man nennt ein solches System determiniert: Existiert ein Zustand , so propagiert er in eindeutiger Weise in einen Zustand mit . D.h. es existiert eine eindeutige Abbildung im Phasenraum, welche die Punkte und verknüpft

Gleichung2

Man nennt den Zeitentwicklungsoperator des Systems. Beispiele für deterministische Systeme sind:
(a)
Differentialgleichungen:
(a.1)
Getriebene Systeme:

Gleichung3

mit dem Geschwindigkeitsfeld des Systems, das von den Zustandsvariablen und explizit von der Zeit t abhängt. Darüberhinaus wird das System durch eine Anzahl Kontrollparameter gesteuert. Ein konkretes Beispiel ist das getriebene mathematische Pendel

Gleichung4

(a.2)
Autonome (selbstregulierende) Systeme:

Gleichung5

Das Geschwindigkeitsfeld ist nicht explizit zeitabhängig. Ein Beispiel für ein autonomes System ist das Lorenz Modell

Gleichung6

mit und .
(b)
Diskrete Abbildungen - Differenzengleichungen:

Gleichung7

Differenzengleichungen verküpfen diskrete Zustände eines Systems im Phasenraum. Ein in den Maple Programmen diskutiertes Beispiel ist die logistischen Abbildung

Gleichung8

Numerische Beispiele haben wir in Form von Poincare Schnitten, wie z.B. der stroboskopischen Abbildung beim getriebenen Pendel oder dem Lorenz Plot kennen gelernt.
Etwas konkreter formuliert gilt für ein autonomes System die folgende Aussage: Ist Lipschitz stetig, so ist eine eindeutige Funktion der Anfangsbedingung und der Kontrollparameter . D.h.

Gleichung9

beschreibt eine schnittfreie Trajektorie im Phasenraum: das System ist eindeutig und für alle Zeiten determiniert. Autonome Systeme sind darüber hinaus invariant unter Zeittranslationen (), da das Geschwindigkeitsfeld nicht explizit zeitabhängig ist. Als nächsten Schritt betrachten wir ein Phasenraumvolumen von Anfangsbedingungen

Gleichung10

und stellen die Frage: Wie ändert sich das Phasenraumvolumen in der Zeitentwicklung?

Figur 1 Zeitliche Propagation einer Schar anfänglich benachbarter Lösungen im Phasenraum


Da jeder Phasenraumpunkt eindeutig durch den Zeitentwicklungsoperator bestimmt ist, kann man den Zusammenhang zwischen den Phasenraumvolumina zu verschiedenen Zeiten als einparametrige (Zeit) Koordinatentransformation im Phasenraum auffassen (Transformation des Volumenelementes)

Gleichung11

mit der Jacobi (Funktional) Determinante

Gleichung12

Um einen Eindruck von der zeitlichen Entwicklung des Phasenraumvolumens zu erhalten, muss man die Zeitentwicklung der Funktionaldeterminante untersuchen. Dazu berechnet man die totale Zeitableitung mit Hilfe der Produktregel

Gleichung13

Für jeden einzelnen Term gilt nach der Kettenregel

Gleichung14

Insgesamt erhält man also

Gleichung15

Liouvilles Theorem:
Gilt für ein System

Gleichung16

so ist das Phasenraumvolumen eines Lösungsensembles zu verschiedenen Anfangsbedingungen eine Erhaltungsgröße. Solche Systeme nennt man konservativ.
(i)
Bezeichnet man mit die Dichte eines Phasenraumensembles, so gilt der folgende Erhaltungssatz (Kontinuitätsgleichung) allgemein

Gleichung17

Ist das Geschwindigkeitsfeld des Systems divergenzfrei, d.h. , so gilt

Gleichung18

In diesem Fall ist die Dichte konstant: man bezeichnet das Ensemble von Phasenraumtrajektorien als inkompressibel. Konservative Systeme sind also durch die Kompressibilitätsbedingung definiert.
(ii)
Ein Hamilton'sches System ist bestimmt durch seine Hamiltonfunktion und die kanonischen Bewegungsgleichungen

Gleichung19

mit Phasenraumtrajektorien . Das Geschwindigkeitsfeld eines Hamilton' schen Systems ist

Gleichung20

und es gilt

Gleichung21

D.h. Hamiltonsysteme sind konservativ und somit Ensembles von Hamiltonsystemen ( mikrokanonische Ensembles) inkompressibel, also . Hieraus folgt ein wichtiges Problem der statistischen Mechanik: das Gibbs'sche Paradoxon. Die Entropie eines Systems muss nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zunehmen. Das steht im Widerspruch zur Volumenerhaltung eines mikrokanonischen Ensembles. Wie man trotzdem ein statistisches Gleichgewicht für volumenerhaltende Systeme erhält wird später angedeutet.
(iii)
Die Tatsache, dass für konservative Systeme das Phasenraumvolumen erhalten ist bedeutet nicht, dass die Form des Volumens nicht zeitlich veränderlich ist. Dies ist eine wichtige Eigenschaft konservativer chaotischer Systeme.
(iv)
Systeme, die nicht konservativ aber beschränkt sind heißen dissipativ. Sie sind durch Senken im Geschwindigkeitsfeld charakterisiert (Reibungskräfte). Ein Beispiel hierfür ist das mathematische Pendel mit Reibung

Gleichung22

Da die Lösung eines determinierten Systems zu jeder Zeit eindeutig bestimmt ist, kann man die Verknüpfung zwischen je zwei Punkten einer Phasenraumtrajektorie als eine einparametrige Koordinatentransformation auffassen: den Zeitentwicklungsoperator. Für einen eindimensionalen Zustandsraum erhält man

Gleichung23

Für ein lineares System mit konstanten Koeffizienten kann man den Zeitentwicklungsoperator analytisch angeben:

Gleichung24

Die formale Erweiterung auf Systeme mit n Zustandsvariablen ergibt

Gleichung25




2001-03-01