Chaos: mischende Systeme - Ergodentheorie

Man nennt ein System ergodisch, wenn zeitliche Mittelwerte einer Observablen (Impuls, Drehimpuls,...) durch ihre Phasenraum Mittelwerte ersetzt werden können: in diesem Sinne ist z.B. eine quasiperiodische Lösung ergodisch, denn sie überdeckt den erreichbaren Phasenraum beliebig dicht. Sie ist aber in keiner Weise statistisch: ein Ensemble quasiperiodischer Lösungen verteilt sich nicht gleichmäßig im Phasenraum. Ähnlich einem Öltropfen in einem Wasserglas, der jeden Punkt erreicht, sich aber nie im Wasser löst, kann ein Ensemble quasiperiodischer Lösungen niemals ein statistisches Gleichgewicht erreichen. Dies erscheint sofort plausibel, da ein konservatives System sein Phasenraumvolumen erhält.
Wie soll es unter dieser Bedingung möglich sein, ein statistisches Gleichgewicht zu erreichen, in dem sich ein anfänglich lokales Lösungsensemble im zeitlichen Verlauf über den gesamten erreichbaren Phasenraum verteilt?

Zwei Beispiele sollen dies veranschaulichen:
(i) Die Bäcker Transformation

Konstruktion der Bäcker Transformation


Gleichung1

Zwei aufeinandergeschichtete gleichgroße Blöcke aus verschiedenfarbigem Teig werden auf halbe Höhe und doppelte Fläche ausgerollt (volumenerhaltend), in der Mitte geschnitten und wieder zusammengesetzt. Wiederholt man diesen Vorgang (Iteration) mehrfach, so bildet sich ein regelmäßiges enges Schichtenmuster: im Grenzfall unendlich vieler Iterationen ein durchmischtes System und damit ein statistisches Gleichgewicht.

Eine volumenerhaltende Kombination aus Stauchungen und Streckungen führt zur Durchmischung eines Systems, das anfänglich aus zwei Komponenten bestand


Die Bäcker Transformation ist volumenerhaltend

Gleichung2

Sie besitzt Fixpunkte bei (0,0) und (1,1) mit je zwei Lyapunov Exponenten (Logarithmen der Eigenwerte der Jacobi Matrix)

Gleichung3

typisch für einen Sattel (hyperbolischer Fixpunkt). Der positive Lyapunov Exponent beschreibt die Dehnung in x-Richtung, der negative die Stauchung in y-Richtung. Dadurch entsteht eine volumenerhaltende Filamentierung der beiden Blöcke und durch die Schichtung die Durchmischung. Das System ist chaotisch (positiver Lyapunov Exponent) durch die Existenz hyperbolischer Fixpunkte. Im Gegensatz dazu ist eine quasiperiodische Lösung gekennzeichnet durch elliptische Fixpunkte (: Zentrum).

(ii) Arnolds Transformation

Poincare Arnold's Transformation: Projektion auf Einheitsquadrat durch periodische Randbedingungen


Gleichung4

Die Differenzengleichung ist definiert auf einem Einheitsquadrat mit periodischen Randbedingungen. Die Abbildung ist volumenerhaltend mit Lyapunov Exponenten

Gleichung5

D.h. die Fixpunkte (0,0) und (1,1) sind hyperbolisch. Die Abbildung ist stark mischend: schon nach wenigen Iterationen ist Poincares Portrait über das gesamte Einheitsquadrat verteilt.
Die Beispiele zeigen, dass konservative Systeme mit ausschließlich hyperbolischen Fixpunkten (also vollständig chaotischen Lösungsmannigfaltigkeiten) nicht nur ergodisch sind, sondern auch ein statistisches Gleichgewicht erreichen. In diesem Sinne findet man eine Lösung des anfänglich erwähnten Gibbs'schen Paradoxons: durch die Filamentierung eines chaotischen mikrokanonischen Ensembles ist es auch für ein im Phasenraum volumenerhaltendes System erlaubt, Entropie zu gewinnen und somit im Einklang zum 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu stehen. Die Ausbreitung kleiner Fehler in der Anfangsbedingung eines chaotischen Systems über das gesamte erreichbare Phasenraumvolumen sorgt für eine irreversible Näherung an ein statistisches Gleichgewicht obwohl das System vollständig determiniert ist.

2001-03-07