Natürlich habe ich meine Vorurteile betreffs dessen, was ich gerne in einem einführenden Lehrbuch zur Quantenmechanik lesen möchte (vor allem auch, was ich eben nicht lesen möchte), und diese Vorurteile sind in der Newsgroup ja auch hinreichend bekannt, will sagen, natürlich gibt das folgende nur meine persönliche Meinung wieder und sollte nicht der Beleidigung der großen Fangemeinde des og. Lehrbuchs dienen. Ich versuche die Sache in zwei Teile zu trennen, einmal eine neutrale Inhaltsangabe und dann eine meinungsabhängige Kritik.
Inhalt
Das og. Lehrbuch stellt eine Einführung in die Quantenmechanik dar und soll laut Vorwort des Autors ,,Studenten der Physik und verwandter Fachgebiete ab dem 4. oder 5. Semester'' dienen.
Das Buch gliedert sich in eine kurze Einleitung zu den historischen und experimentellen Grundlagen und führt dann sogleich in die Welt der Wellenfunktion und die Schrödingersche Formulierung der Quantenmechanik ein. Daran schließt sich die Behandlung einfacher eindimensionaler Probleme (harmonischer Oszi, Potentialstufen, Tunneleffekt, Potentialtopf, Resonanzen) an.
Sodann ist ein kurzes Kaptel der Unschärferelation gewidmet. Anschließend werden der Drehimpuls und Zentralpotentiale (mit ausführlicher Behandlung des Wasserstoffproblems), sowie die Bewegung im elektromagnetischen Feld behandelt.
Dann folgt je ein Kapitel über ,,Operatoren, Matrizen, Zustandsvektoren'', ,,Spin'', ,,Addition von Drehimpulsen'', ,,Näherungsmethoden für stationäre Zustände'', ,,Relativistische Korrekturen'', ,,Atome mit mehreren Elektronen'', ,,Zemann-Effekt und Stark-Effekt'', ,,Moleküle'', ,,Zeitabhängige Phänomene'', ,,Zentralpotential II'', ,,Streutheorie'', ,,Supersymmetrische Quantentheorie'', ,,Zustand und Meßprozeß in der Quantenmechanik''.
Das Werk schließt mit einem Anhang über mathematische Hilfsmittel, ,,Kanonischer und kinetischer Impuls'', Algebraische Bestimmung der Drehimpulseigenfunktionen, Tabellen und Periodensystem.
Kritik
Man muß Lehrbücher über Quantenmechanik in mindestens zweierlei Hinsicht betrachten. Zum einen ist zu klären, inwieweit die physikalische Begründung des Formalismus in sich geschlossen erscheint, zum anderen ob die methodischen Grundlagen für die praktische Anwendung stringent vermittelt werden.
Zu letzterem bleiben bei dem og. Lehrbuch kaum Wünsche offen, was die Wellenfunktionsdarstellung betrifft. Die Rechnungen sind hinreichend ausführlich, um dem Anfängerstudenten genügend Rückhalt beim Nachvollziehen zu geben. Die mathematische Argumentation dabei ist relativ klar.
Ein anderer Punkt ist die physikalische Begründung und die mathematische Durchführung der Theorie, und da läßt das Werk doch einiges zu wünschen übrig. Zum einen folgt es den ausgetretenen Pfaden der herkömmlichen Lehrbuchliteratur, und man fragt sich daher, warum das Buch überhaupt geschrieben wurde. Man kann die gleiche Behandlung, freilich mathematisch viel besser begründet schon in Sommerfelds Klassiker ,,Atombau und Spektrallinien'' oder gar in Schrödingers Originalarbeiten finden. Die letzteren haben wenigstens den Vorteil, daß nicht in haarsträubender Weise mit Distributionen verfahren wird, wie es hier einmal mehr geschieht, sondern auf der Basis des Lehrbuchs von Courant und Hilbert über die mathematischen Methoden der Physik argumentiert wird.
Einmal mehr wird auch der Darstellung der Theorie durch Wellenfunktionen allzu deutlich Rechnung getragen. Die darstellungsfreie Behandlung, die allgemeiner ist und die Strukturen deutlicher hervortreten läßt, kommt viel zu kurz. Eine vollständige Behandlung der Bildtransformationen darf man dann natürlich gar nicht mehr erwarten (imho wird dieser Punkt nur in Fick, Einführung in die Grundlagen der Quantentheorie, vollständig und korrekt behandelt).
Was die an sich interessanten Grundlagenfragen, z.B. zum Meßprozeß, betrifft, ist das Buch vollkommen unbrauchbar. Es fehlen auch vollständig jegliche Hinweise auf die in der modernen Physik so wichtigen Symmetrieprinzipien. Noch nicht einmal auf die Rolle der Eichinvarianz für die elektromagnetische Wechselwirkung wird eingegangen, was eigentlich heutzutage nicht mehr hinnehmbar ist. Gleiches gilt für die Verwendung der sog. ,,kanonischen Quantisierung''.
Als Resumee kann man dem Werk allenfalls bescheinigen, daß es das, was es bringt, relativ ordentlich behandelt. Es ist aber für eine moderne Vorlesung über die Quantenmechanik nur bedingt zu empfehlen, weil es weder die Symmetrieprinzipien noch den Hilbertraumformalismus in ausreichender Form vermittelt. Positiv zu vermerken ist allerdings der Verweis auf Originalliteratur.
Einmal mehr fragt man sich, warum gerade dieses Lehrbuch sich einer solch großen Beliebtheit unter der Studentenschaft erfreut, obwohl es die moderneren Aspekte, wie oben beschrieben, vollständig vernachlässigt.
Verglichen mit dem Sakurai (Modern Quantum mechanics) muß man gar von der Verwendung dieses Lehrbuchs für die Einführung in die Quantenmechanik gänzlich abraten, denn wenn es besseres gibt, warum soll man dann ungenügendes empfehlen?