Einführung

Sehr geehrter Damen und Herren,

'Money, Money, Money: Deutschlands Wirtschafts- und Finanzleben' lautet der Titel der Vorlesungsreihe des Hochschul-Sommerkurses 2011. Die Vorlesungsreihe ist in die folgenden vier Teilvorlesungen gegliedert:
    1. Vorlesung: 'Industriestandort Deutschland'
    2. Vorlesung: 'Neue Herausforderungen europäischer Geldpolitik'
    3. Vorlesung: 'Globale Finanzmärkte nach der Krise'
    4. Vorlesung: 'Kultur - Tourismus - Business'
Der folgende Vorlesungsteil befasst sich mit dem Thema 'Globale Finanzmärkte nach der Krise'. Um zu verstehen, wie die aktuelle Situation auf den Finanzmärkten ist und inwieweit die darauf agierenden Personen aus der (noch nicht sehr weit zurückliegenden) Finanzkrise gelernt haben, muß zunächst analysiert werden, wie es zu der Krise kam.

Die Geschichte der Finanzkrisen geht weit zurück und Beispiele lassen sich bereits in der Antike finden (z.B. Geldentwertung im siebten Jahrhundert vor Christus durch König Midas). 1637 platzte in Holland die Tulpenzwiebel-Blase (wobei kurz davor der Preis für eine Tulpe so weit gestiegen war, dass man sich dafür ein ganzes Haus in Amsterdam kaufen konnte). Weitere Beispiele sind die Weltwirtschaftskrise von 1929 und die Dotcom-Krise im Jahre 2000. Allgemein sind Finanzkrisen größere Verwerfungen im Finanzsystem, die durch einen Rückgang von Vermögenswerten und durch die Zahlungsunfähigkeit zahlreicher Unternehmen der Finanzwirtschaft und anderer Branchen gekennzeichnet sind.

Im folgenden befassen wir uns mit der so genannte Subprime-Hypothekenkrise, die sich ausgehend vom Jahre 2007 in den USA, zu einer weltweiten Finanzkrise entwickelte. Subprime-Hypotheken sind Immobilienkredite, welche an Kreditnehmer mit geringer Bonität ausgegeben werden. In den Jahren vor 2007 stiegen die Immobilienpreise stetig stark an, so dass viele Personen ihr Geld in ein eigenes Heim investieren wollten oder allgemein Immobilien als eine gute Anlagemöglichkeit ansahen. Die Kreditgeber warben mit den niedrigen Zinssätze für Hypothekenkredite und den stark ansteigenden Immobilienpreisen und vergaben auch zunehmend Darlehen an Kreditnehmer mit immer geringerer Bonität (risikoreiche Hypothekenkredite). Der Auslöser für die Subprime-Krise waren einerseits die dann fallenden Immobilienpreisen in den USA und die durch steigende Zinssätze verursachten Zahlungsausfälle.

Eine Ausbreitung der Subprime-Krise auf die gesamte Finanzwirtschaft erfolgte durch die Konstruktion neuer sehr risikoreicher Anlageinstrumente die eine Bündelung und Verbriefung der Subprime-Hypothekenkredite darstellte. Aus diesen durch Hypotheken gesicherte Wertpapieren (Mortgage Backed Securities (MBS)) wurden Investment-Fonds gebildet, die an unterschiedlichste Kunden weltweit verkauft wurden. Im September 2008 erreichte die Krise ihren Höhepunkt, als der Investmentbank 'Lehman Brothers' staatliche Liquiditätshilfen verweigert wurden.

Gerade die komplizierte Konstruktion, der durch die Subprime-Hypotheken gesicherten Wertpapieren, verschleierte das eigentlich dahinterliegende Risiko dieser Anlageform -- was sich auch darin zeigte, dass selbst die Rating-Agenturen bis kurz vor dem Kollaps gute Noten aussprachen. Bei der Modellierung der Finanzkrise setzen wir unseren spieltheoretischen Ansatzpunkt gerade bei dieser, von den Investmentbanker gewählten, zur Krise führenden, aggressiven Verkaufsstrategie. Die Spieler der betrachteten Population sind nun Investmentbanker, wobei diese die folgenden zwei reinen Strategien besitzen. Die 'Falke'-Strategie stellt eine aggressive Verkaufsstrategie dar. Investmentbanker, die diese Strategie wählen, verkaufen sehr risikovolle Produkte mit einem hohen Gewinn. Die 'Taube'- Strategie dagegen stellt eine nicht-aggressive Strategie dar, in welcher die verkauften Produkte einen moderaten Gewinn bei niedrigem Risiko versprechen. In jeder Spielrunde kämpfen zwei Investmentbanker um einen Investor. Die Auszahlungsmatrix des zugrundeliegenden symmetrischen (2 Personen)-(2 Strategien) Spiels wurde wie folgt parametrisiert:
Investmentbanker A / Inv.banker B Falke Taube
Falke ((ph - d)/2 , (ph - d)/2) (ph , 0)
Taube (0 ,ph) (pm/2 , pm/2)

Der Parameter ph bezeichnet die hohe Gewinnauszahlung bei Wahl der 'Falke'- Strategie, der Parameter pm bezeichnet den moderaten Gewinn bei Wahl der 'Taube'-Strategie und der Parameter d beschreibt den absoluten Betrag des negativen Auszahlungswerts, der in einer Kampfsituation zweier 'Falken'-Investmentbanker entsteht. Um die formale Struktur eines Falke-Taube Spiels zu garantieren, wurde die folgende zusätzliche Bedingung gefordert: ph > pm > 0 > (ph - d)/2. Das klassische Spiel besitzt zwei unsymmetrische reine Nash-Gleichgewichte (Falke,Taube) und (Taube,Falke) und ein internes Nash-Gleichgewicht bei der gemischten Strategienkombination (pm - 2 ph)/(pm - ph - d).

Die Anwendung dieses evolutionären Falke-Taube-Spiels auf die Finanzkrise ist wie folgt zu verstehen: In jedem Zeitintervall kämpfen zwei Investmentbanker um einen Investor und konkurrieren miteinander durch die Konstruktion neuer Anlagemöglichkeiten. Wenn ein Investmentbanker mit einer Taube-Strategie und ein Investmentbanker mit einer Falken-Strategie um einen Investor kämpfen, wird der Falke gewinnen, da er/sie ein Produkt mit einer höheren Rendite anbietet. Der Falke-Investmentbanker erhält in diesem Fall eine hohe Abschlußprämie (ph). Wenn zwei Tauben aufeinander treffen, verteilt der Investor seine Investition gleich unter beiden auf, da beide ihm/ihr die gleichen Bedingungen bieten. Die Auszahlung für beide Spieler beträgt in diesem Fall pm/2 - also die halbierte moderate Abschlußprämie. Wenn zwei Falken aufeinander treffen, verteilt der Investor zwar ebenfalls seine Investition gleich unter beiden auf, die Auszahlungen der Spieler ist jedoch ganz anders in allen drei Fällen und besteht aus den folgenden zwei Teilen: Der erste Teil besteht aus der halbierten hohen Abschlußprämie (ph/2). Der zweite Teil jedoch der diesen Gewinn mindert, resultiert aus der Kampfsituation beider Falken, die bei aufeinander treffen sich in der Attraktivität ihrer Investment-Produkte bekämpfen und unseriöse Anlagemöglichkeiten versprechen, die teilweise versteckte Risiken und realitätsfremde, enorme Renditen versprechen. Der Parameter d ist somit ein Indikator für den Grad an Aggressivität der Falken und gleichzeitig für die Gefahr der konstruierten Investment-Produkte, die einen zukünftigen Crash des Finanzmarktes bewirken können.

In diesem Vorlesungsteil werden wir das beschriebene evolutionäre Falke-Taube-Spiel der Finanzkrise im Detail diskutieren (siehe Spieltheorie III). Die Ergebnisse werden aufzeigen, dass in Abhängigkeit vom Destabilisierung-Faktor d der Anteil an aggressiven Investmentbanker (x(t)) variiert, und das aggressive Verhalten auch bei hoch riskanten Märkten nie vollständig verschwinden. Das ist genau, was man bei der Subprime-Hypothekenkrise beobachtete: Obwohl die Gefahr einer Destabilisierung am Investmentmarkt offensichtlich zunahm änderte sich das Verhalten einiger aggressiver Investmentbanker nicht. Doch statt in einem stabilen Zustand zu enden, stürzte der Markt vollens ab, was unter anderem darin begründet ist, dass der negativen Nutzen eines veräußerten Finanzproduktes (Parameter d) in der Regel erst zeitverzögert wahrgenommen wird, so dass die persönlichen Risikobewertung in einem Markt von steigendem Risiko immer hinter dem realen Risiko Wert hinterherläuft.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es der zügellose 'Egoismus' der Spieler war, der zur Krise führte. Eine zukünftigen Krisenvermeidung durch die Schaffung neuer, ordnungspolitischen Rahmenbedingungen z.B. im Bereich des Kreditrisikotransfers und des Risikocontrollings könnte es den Spielern erschweren undurchsichtige, für den Markt gefährliche Anlageprodukte zu konstruieren. Die Geschichte zeigt jedoch, dass die negative Kreativität aggressiver Spieler enorm hoch ist, so dass diese auch in Zukunft Falken-Strategien entwerfen werden. Ein langfristiger Ausweg kann wohl nur durch eine Etablierung einer, von allen Spieler akzeptierten wirtschaftsethischen Moral erzielt werden.

Neben der Diskussion der Subprime-Hypothekenkrise werden in diesem Vorlesungsteil evolutionäre Spiele auf einer vorgegebenen komplexen Netzwerkstruktur betrachtet (siehe Spieltheorie III).