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Die makroskopische1 Thermodynamik kennt folgende Hauptsätze:
Der Zweite Haupsatz ist daher der interessanteste. Eine populäre Deutung besagt, daß das ganze Universum eines Tages einen Gleichgewichtszustand maximaler Entropie annehmen wird, in dem kein Leben mehr möglich ist. Davon soll hier aber nicht die Rede sein.
Ebenso populär ist die saloppe FehlinterpretationP) Die Entropie ist ein Maß für Unordnung und nimmt immer zu.Daraus werden im wesentlichen zwei "Schlußfolgerungen" gezogen:
A) Es gibt viele Fälle, in denen Ordnung zunimmt oder Entropie abnimmt oder beides; daher muß der Zweite Haupsatz falsch sein.
B) Der Zweite Hauptsatz ist richtig und daher ist die selbständige Entstehung geordneter Strukturen, von insbesondere Leben und sozialen Strukturen, nicht möglich. Dieses Argument wird meist in religiösen Zusammenhängen angeführt.
Der Fehler der Prämisse P ist, daß der Zweite Hauptsatz sich auf abgeschlossene Systeme bezieht. Damit sind die Behauptungen A und B bereits entkräftet. Allerdings auf ziemlich abstraktem Niveau.
Daher werden im Rest dieses Artikels einige konkrete Bespiele angeführt. Sie demonstrieren, wie die Thermodynamik die selbständige Entstehung von Ordnung und die Entropieminderung fördert. Der gemeinsame Nenner ist, daß die Entropie in einem Teilsystem abnimmt, ohne den Zweiten Haupsatz zu verletzen.
+----------------+ | +------------+ | | | T1 | | dS1 = -|dQ|/T1 | +------------+ | | | | | | dQ | | \|/ | | +-----'------+ | | | T2 | | dS2 = +|dQ|/T2 | +------------+ | +----------------+ |
Die Grafik zeigt ein abgeschlossenes System, aufgebaut aus zwei Teilsystemen von zunächst unterschiedlichen Temperaturen T1>T2. Die Wärmeenergie dQ geht von Teilsystem Nr. 1 auf Nr. 2 über. Die Entropie des Gesamtsystems wächst dabei an, nämlich um dS=dS1+dS2>0. Am Ende werden beide dieselbe Temperatur haben und im Gleichgewicht sein.
Betrachten wir aber Teilsystem 1 alleine, dann sinkt seine Entropie ständig ab. Der andere Begriff, "Ordnung", ist eine subjektive Definition, aber normalerweise nimmt sie zu. Ein Beispiel ist das beliebte Bleigießen. Die folgende Grafik sieht auf den ersten Blick anders aus, aber das Prinzip ist dasselbe: Wärme geht von 1 nach 2 über.
+--------------+ |+------------+| || T2 || || +--+ || || |T1| ->dQ || |+--+--+------+| +--------------+ |
Zuerst ist das Blei (T1) flüssig. Also ziemlich unordentlich. Nachdem es erstarrt ist, kann man unter dem Elektronenmikroskop sehen, daß es aus Kristallen besteht.
Hier hat also im Einklang mit dem Zweiten Hauptsatz ein abgeschlossenes System in einem Teilsystem dessen Entropie vermindert und Ordnung erzeugt. Ganz ohne menschliches Zutun.
Im Prinzip trifft das auf die meisten Abkühlvorgänge zu, wenn auch nicht so offensichtlich.
Noch interessanter wird es, wenn ein Teilsystem zwischen zwei Wärmebädern2 arbeitet.
+------------------+ | +------------+ | | | T1 | | dS1 = -|dQ|/T1 | +------------+ | | | dQ | | \|/ | | +-'--------+ | | |WKM -> dA | | dA = w dQ | +----------+ | | |(1-w)dQ | | \|/ | | +-----'------+ | | | T2 | | dS2 = +(1-w)|dQ|/T2 | +------------+ | +------------------+ |
Die Wärmekraftmaschine (WKM) zweigt ein wenig mechanische Energie dA ab. Eine WKM ist zum Beispiel die Dampfmaschine. "w" bezeichnet den Wirkungsgrad.
Die abgezweigte nutzbare Energie dA ist bereits etwas geordnetes. Man kann sie dazu nutzen, um innerhalb der WKM weiße und schwarze Kugeln zu entmischen. Oder Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle.
So entsteht wieder selbständig Ordnung in einem Teilsystem.
Dieser Effekt ist ein Paradebeispiel der Synergetik3.
In einer von unten beheizten dünnen Flüssigkeits-Schicht treten je nach Temperaturdifferenz verschiedenartige regelmäßige Konvektionsmuster auf. Zum Beispiel bienenwabenartig nebeneinander angeordnete Zellen, innerhalb derer das Wasser wie in einem Kochtopf umläuft.
Der Laser verhält sich analog zum Benard-Effekt: Er wird angeregt von ungeordneter, also thermischer, Energie aus einer Pumplampe. auf der anderen Seite ist er ans allgemeine elektromagnetische Feld angeschlossen, welches offensichtlich die Energie aus dem Laser gierig aufnimmt, also als kalt betrachtet werden kann.
Der Laser ist das andere Paradebeispiel der Synergetik3.
Auch das aus Ozeanen und Atmosphäre zusammengesetzte Teilsystem (gelegentlich Biosphäre genannt) wird von ungeordneter Energie durchströmt. Sie fließt von der Sonne (heiß) durch die Biosphäre in den Weltraum (kalt). So entsteht Wetter (Bewegung=gerichtete Energie=geordnet), Eis (Kristalle), das Leben, und dessen Evolution.
Gibt man in eine Lösung großer Makromoleküle kleinere Makromoleküle, dann lagern sich erstere spontan zu geordneten Strukturen zusammen.
Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, daß die Gesamtentropie aller Makromoleküle zugenommen hat. Die kleineren Moleküle haben jetzt etwas mehr Bewegunsfreiheit, was automatisch die Entropie erhöht.
Der Effekt ist Gegenstand aktueller Forschung. Es wird vermutet, daß lebende Zellen ihn ausgiebig nutzen. Für weitere Informationen suche man im Web nach dem Stichwort "entropic forces".
3 Buch: Hermann Haken, "Synergetik", 1976(?). Laser, Benard-Effekt und einige andere Beispiele werden gründlich vorgerechnet. Steht in allen Uni-, Physik- und ähnlichen Bibliotheken. Auch Suchmaschinen finden Informationen zu Synergetik und Haken.