Standard & Poor's (S&P) hatte den Vereinigten Staaten am Freitag die Bestnote „AAA” entzogen
08. August 2011 2011-08-08 18:29:34
Ausgelöst durch die abgestufte Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten sind die Kurse an den amerikanischen Börsen am Montag abermals abgestürzt. Die Talfahrt beschleunigte sich bis Handelsschluss, so dass der Leitindex Dow Jones Industrial letztlich mehr als 600 Punkte einbüßte und auf Tagestief deutlich unter 11.000 Punkten aus dem Handel ging. Er schloss mit minus 5,55 Prozent auf 10.809,85 Punkte und damit auf dem tiefsten Schlussstand seit dem 4. Oktober 2010. Der breit gefasste S&P 500 brach um 6,66 Prozent auf 1119,46 Punkte ein und auch die Nasdaq-Indizes zeigten sich nach ihren insgesamt sieben- und achtprozentigen Verlusten in der Vorwoche erneut extrem schwach. Der Nasdaq 100 verlor 6,11 Prozent auf 2060,29 Punkte und der Composite-Index noch deutlichere 6,90 Prozent auf 2357,69 Punkte.
„Eine Abstufung durch S&P ist zwar erwartet worden, aber dass es so schnell kommt, hat geschockt“, sagte ein Aktienexperte in London. Keith Wirt, Chef-Investmentstratege von Fifth Third Asset Management in Cincinnati sagte: „Zwar gibt es derzeit billige Aktien am Markt, aber die Emotionen kochen augenblicklich hoch. Es gibt genug Unsicherheiten und die Anleger wollen daher so wenig Risiken wie möglich.“
Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die Wirtschaft weiter an Fahrt verliert, in einigen Bereichen sogar in die Rezession abgleiten könnte. Alle Hoffnungen liegen nun darauf, dass die Notenbank möglicherweise am Dienstag den Start von Quantitative Easing 3 bekanntgibt und weitere Staatsanleihen kauft.
Hauptthema ist jedoch die Herunterstufung des Schuldners Vereinigten Staaten . Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte am späten Freitagabend die Kurzfrist-Einstufung für die Vereinigten Staaten auf „AA+“ von „AAA“ gesenkt. Die Agentur begründet den Schritt damit, dass der zwischen Kongress und Regierung ausgehandelte Plan zur Haushaltskondolidierung mit Blick auf die mittelfristige Entwicklung des Schuldenproblems nicht ausreichend sei. Es ist das erste Mal seit der ersten Einstufung der Kreditwürdigkeit 1917 durch die Ratingagentur Moody's, dass eine Ratingagentur den Vereinigten Staaten die Bestnote aberkennt. Überraschend kommt diese Entwicklung für den Anleihemarkt allerdings nicht, die Anleihen können leichte Kursgewinne verbuchen.
Der amerikanische Präsident Barack Obama zeigt sich trotz der herabgestuften Kreditwürdigkeit und jüngster Börsenturbulenzen demonstrativ optimistisch für die Zukunft des Landes. Die Probleme Amerikas seien „lösbar“, sagte Obama am Montag in Washington. „Und wir wissen, was wir zu tun haben, um sie zu lösen“, betonte er. Die Märkte seien weiterhin der Auffassung, dass die Vereinigten Staaten ein „AAA“-Rating verdienten, sagte Obama. Der Präsident zitierte den amerikanischen Investor Warren Buffett, der betont habe: „Wenn es ein AAAA-Rating geben würde, würde ich es den Vereinigten Staaten geben.“ Er selbst und die meisten Investoren sähen es genauso, sagte der Präsident. „Egal, was eine Ratingagentur meint, wir waren immer und werden immer ein AAA-Land sein“, betonte Obama.
Die Analysten von Bank of America-Merrill Lynch rechnen dagegen mit weiteren Abstufungen der Bonität der Vereinigten Staaten . Liefere die jüngst ins Leben gerufene Defizit-Kommission im Lauf des Jahres erwartungsgemäß keine Vorschläge für eine Steuerreform, werde Standard & Poor's die Einstufung der größten Volkswirtschaft der Welt auf „AA“ senken. Mit Fitch und Moody's würden dann auch die beiden anderen bedeutenden Rating-Agenturen zur Tat schreiten, mutmaßen die Analysten.
Für Aktien bleiben die Analysten angesichts des unverändert wenig zuträglichen Umfelds kurzfristig vorsichtig. „Wir gehen weiter davon aus, dass die Panik am Markt vorbei ist, wenn sie bei den Notenbankern einsetzt, schließlich benötigt eine nachhaltige Aktien-Rally eine substanzielle und glaubwürdige Antwort auf die gegenwärtige Schwäche.“ Anleger sollten daher weiter „long“ in defensiven und „short“ in zyklischen Sektoren bleiben. Die größten Verlierer an der Wall Street sind in diesem Umfeld die Finanzwerte wie auch die Zykliker. So verlieren Bank of America 10 Prozent, Citigroup 6,5 Prozent, Alcoa 4,7 Prozent und Caterpillar 4,6 Prozent. Die defensiven Werte können sich dagegen recht gut halten, so steigen Procter & Gamble um 0,8 Prozent, Johnson & Johnson wie Wal-Mart geben um jeweils 1 Prozent nach.
Aktien, Ölpreis und Dollar bauten ihre drastischen Kursverluste der Vorwoche aus. Das Bekenntnis der G7-Staaten, die Finanzmärkte stabilisieren zu wollen, und Spekulationen auf Anleihe-Käufe der Europäischen Zentralbank (EZB) vermochten Anleger kaum zu beruhigen. Sie suchten ihr Heil in den „sicheren Anlagehäfen“ wie dem Schweizer Franken und Gold.
Der zunächst noch freundlich in den Handel gestartete Dax drehte relativ schnell ins Minus, beschleunigte im Tagesverlauf seine Verluste und unterbot am Nachmittag erstmals seit Anfang September 2010 wieder klar die Marke von 6000 Punkten. Am Ende sackte der Leitindex um 5,02 Prozent auf 5923,27 Punkte ab, hatte sein Tief aber zuvor bei 5911 Punkten markiert. Der MDax stürzte um 6,52 Prozent auf 8539,42 Punkte ab. Der TecDax ging mit 5,33 Prozent auf 679,51 Punkte in die Knie.
Angesichts der abgestuften Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten trennten sich viele Anleger weiterhin von ihren riskanten Anlagen, der Goldpreis dagegen setzte zu einer rasanten Rekordjagd an. Zuvor hatten sich Börsianer noch recht unbeeindruckt von der S&P-Entscheidung gezeigt. Ein schwacher Handelsauftakt an der Wall Street setzte den deutschen Leitindex dann aber doch noch deutlich unter Druck. Dafür verantwortlich gemacht wurde neben dem amerikanischen Rating auch eine zusätzliche Abstufung von Kreditgebern, die mit der amerikanischen Regierung in Verbindung stehen. Demnach hat S&P die beiden mit staatlichen Geldern geretteten Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac abgestuft.
Aktien aus der Versicherungsbranche hielten sich angesichts der kräftigen Verluste vergleichsweise gut, was Börsianer mit der beruhigenden Wirkung der signalisierten Anleihenkäufe der EZB begründeten. Die lange Zeit im Plus liegenden Aktien des Rückversicherers Munich Re fielen am Ende aber dennoch um 1,86 Prozent auf 91,07 Euro, waren damit aber hinter den 0,44 Prozent leichteren Aktien der Deutschen Börse zweitbester Dax-Wert. Allianz-Titel hielten sich mit minus 2,65 Prozent ebenfalls besser als der Markt.
Doch nicht alle Versicherer konnten sich der vergleichsweise stabilen Branchenentwicklung anschließen. Kräftig um 8,86 Prozent auf 29,405 Euro abwärts ging es nach Zahlen für die im MDax notierten Titel von Hannover Rück. Eine dicke Steuergutschrift hatte im ersten Halbjahr die Katastrophenlasten abfedern können, Händler kritisierten jedoch eine enttäuschende operative Entwicklung.
Im Dax landeten zyklische Industrie-, Technologie- und Bankenwerte ganz unten auf der Kursliste. Aktien von ThyssenKrupp sackten nach einer Abstufung von Cheuvreux um 9,57 Prozent auf 22,245 Euro ab und waren damit das Schlusslicht. BMW-Papiere standen dem in einem insgesamt kräftig unter Druck stehenden Autosektor nur wenig nach und büßten fast 9 Prozent ein. Aktien von Infineon und der Commerzbank sackten ferner um 8,3 und 8,5 Prozent ab.
Die 5,60 Prozent leichteren RWE-Titel schlossen auf ihrem Tagestief von 30,69 Euro und gingen so auf ihrem tiefsten Stand seit siebeneinhalb Jahren aus dem Handel. Der Energieversorger hatte wegen der Belastungen durch den Atomausstieg seine Prognose für das laufende Jahr gesenkt, sich gleichzeitig aber optimistischer für 2013 gezeigt. Zudem will RWE mit dem Verkauf eigener Aktien und einer Kapitalerhöhung 2,5 Milliarden Euro einnehmen.
Der EuroStoxx 50 gab um 3,23 Prozent auf 2286,91 Punkte nach. Der FTSE 100 in London erlitt ähnlich kräftige Einbußen wie der europäische Leitindex, der Cac 40 in Paris sackte dagegen noch etwas deutlicher um 4,7 Prozent ab.
Deutsche Staatsanleihen haben zu Wochenbeginn von abermals sehr schwachen Aktienmärkten profitiert. Nach einer zunächst leichteren Tendenz am deutschen Rentenmarkt legte der richtungweisende Euro-Bund-Future bis zum Montagabend kräftig um 0,62 Prozent auf 133,18 Punkte zu. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe sank auf 2,28 Prozent.
Händler verwiesen fast ausschließlich auf die sehr schwachen Aktienmärkte als Unterstützung für als sicher geltende Anlagen wie deutsche Staatspapiere. Auch amerikanische Staatsanleihen erhielten trotz der Herabstufung der Vereinigten Staaten durch die Ratingagentur S&P starken Zulauf. Derzeit überwiege klar die Unsicherheit unter den Investoren, hieß es am Markt.
An den Rentenmärkten finanzschwacher Euro-Länder entspannte sich die Lage unterdessen sehr deutlich. Besonders stark rückläufig waren die Risikoaufschläge in Spanien und Italien. Händler verwiesen auf Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank hatte am Wochenende entsprechende Käufe signalisiert. In diesem Fahrwasser gaben auch die Renditen in Portugal, Belgien und Griechenland spürbar nach (siehe auch:Interventionen führen zu starken Kursgewinnen ) .
Der Dollar ist am Montag zum Schweizer Franken auf ein Rekordtief gefallen. Auch zum Euro und zum Yen geriet der Greenback zumindest zeitweise unter Druck. Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte am späten Freitagabend die Bonität der Vereinigten Staaten um eine Stufe auf ‘AA+' herabgesetzt. „Die steigende Risikoaversion führt zu Nachfrage von Währungen mit dem Status als sicherer Hafen, wie dem Franken und dem Yen“, sagte Simon Derrick, Chefdevisenstratege bei Bank of New York Mellon Corp. in London. Dies trage auch dazu bei, den negativen Druck auf den Dollar nach der Rating-Herabstufung zu lindern. Zum Franken sackte der Dollar zeitweise bis zu 2,5 Prozent ab und notierte im Handelsverlauf bei 74,85 Rappen je Dollar um ein Prozent leichter als am Freitag. Der Dollar legte zum Euro nach Anfangsverlusten zu und verteuerte sich um 0,6 Prozent auf 1,4191 Dollar je Euro. Der Franken rückte zum Euro 1,5 Prozent vor auf bis zu 1,0620 je Euro.
Der Yen verzeichnete zum Dollar einen Anstieg von 0,9 Prozent und wurde zu 77,67 Yen gehandelt. Zum Euro legte der Yen 1,6 Prozent zu auf 110,7 Yen je Euro. Deutlich ins Abseits gerieten am Montag auch der australische Dollar und der neuseeländische Dollar. Beide Währungen verloren gegenüber dem Euro rund zwei Prozent. Zum Yen sackte der Aussie, wie Australiens Währung auch genannt wird, auf den tiefsten Stand seit dem 21. März ab. Analysten verwiesen zur Begründung auf die sinkenden Preise an den Rohstoffmärkten und die Gefahr einer Eintrübung der globalen Konjunktur.
Am Rohstoffmarkt wurde das Geschehen am Montag vom Sicherheitsbedürfnis der Anleger bestimmt. Der Markt reagierte auf die Herabstufung der Bonität der Vereinigten Staaten am Freitagabend und dir fallenden Aktienkurse am Montag mit einem kräftigen Anstieg des Goldpreises. Die meisten anderen Rohstoffe wurden hingegen niedriger gehandelt. Gold nahm erstmals die Marke von 1.700 Dollar je Unze. „Die Herabstufung durch S&P ist ein Signal für eine Reihe von Investoren, ein Weckruf zum Risikoniveau in der Welt“, sagte Peter Fisher, Leiter festverzinsliche Papiere beim Vermögensverwalter BlackRock Inc. in New York. „Es gibt eine Menge Investoren, die das als ein weiteres Risiko für die Weltwirtschaft sehen werden, neben der europäischen Schuldenkrise und dem Risiko einer Konjunkturflaute in den Vereinigten Staaten .“ Am Nachmittag wurde das Edelmetall zu 1.702,40 Dollar je Unze gehandelt, 2,3 Prozent höher als am Freitag. Silber war ebenfalls gefragt und verteuerte sich 2,9 Prozent auf 39,47 Dollar je Unze.
Markante Verluste gab es dagegen bei Rohöl. Die amerikanische Sorte WTI notierte 3,9 Prozent niedriger bei 83,51 Dollar je Barrel und markierte damit den tiefsten Stand seit mehr als acht Monaten. Rohöl der Nordseesorte Brent wurde zu 105,85 Dollar und damit 3,3 Prozent billiger gehandelt. Marktteilnehmer befürchten, dass eine flauere Konjunktur in den Vereinigten Staaten die Nachfrage nach dem Energieträger bremst. Auch Kupfer, Blei, Nickel und Zink notierten deutlich niedriger als am Freitag. Das galt ebenfalls für landwirtschaftliche Rohstoffe - hier verbilligten sich Mais, Weizen und Zucker besonders stark.
Die Kursverluste in Europa folgten dem deutlichen Minus, das die asiatischen Handelsplätze verzeichnet hatten. Hongkongs Hang-Seng-Index stürzte um vier Prozent auf 20.109 Zähler. Der Kospi-Index in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul fiel um 3,3 Prozent auf 1.880 Punkte. Der Nikkei in Tokio hatte zur Mittagszeit 1,3 Prozent verloren und lag bei 9.178 Punkten. In Australien fiel der S&P/ASX 200 um 1,8 Prozent auf 4.031 Punkte. In Singapur verzeichnete die Börse mit einem Minus von 3,7 Prozent ebenfalls einen deutlichen Verlust. Der Markt in Taiwan rutschte um 2,6 Prozent ab, der chinesische Shanghai Composite büßte drei Prozent ein.
An den früher eröffneten Börsen in Neuseeland und Australien hatte sich die Lage im Laufe des Vormittags noch stabilisiert und die Kursverluste hatten abgenommen. In China (Shanghai und Shenzhen) sowie in Hongkong lief es in die entgegen gesetzte Richtung: Nach einem moderaten Minus zum Auftakt ging es am Vormittag auf Talfahrt.
Keiner muss Anleihen Amerikas verkaufen
Die Herabstufung der Bonität der Vereinigten Staaten durch die Ratingagentur Standard & Poor's von der Bestnote „AAA“ auf die zweitbeste Note „AA+“ ist zwar von erheblicher psychologischer Bedeutung für die Kapitalmärkte. Die hieraus stammende Verunsicherung trägt zur Schwäche der Aktienmärkte bei. Doch ändert die Herabstufung nichts an der Rolle des Dollar als der wichtigsten Währung der Welt noch an dem Rang des Marktes für amerikanische Staatsanleihen, der traditionell der umsatzstärkste und liquideste Anleihemarkt der Welt ist. Auch mit der zweitbesten Note bleiben amerikanische Staatsanleihen eine rund um den Globus gefragte Anlageform. Die Herabstufung ist am ehesten als eine Art Warnschuss für die amerikanische Politik zu verstehen, die notwendige Sanierung der Staatsfinanzen nicht hinauszuzögern. Von einer Zahlungsunfähigkeit bleiben die Vereinigten Staaten weit entfernt.
Vor allen Dingen zwingt die Herabstufung nach Angaben aus Bankkreisen keine Versicherung oder Fondsgesellschaft, sich von amerikanischen Anleihen zu trennen. Von daher ist keine Verkaufswelle für diese Papiere zu erwarten. Zwar existierten für einige Großanleger Vorschriften, die ihnen den Erwerb oder die Haltung von Anleihen als unsolide bewerteter Schuldner verbieten. Um in diese Kategorie abzurutschen, müsste die amerikanische Bonität aber noch mehr als zehnmal reduziert werden. (gb.)
Text: FAZ.NET mit dapd und dpa
Bildmaterial: AFP, Bloomberg, dpa, F.A.Z., Foto - F.A.Z. Wolfgang Eilmes, REUTERS