Ein Mann mit Rückgrat? Der neue EZB-Präsident Mario Draghi steht vor einer schwierigen Aufgabe - die EZB hat hat die eigene Unabhängigkeit aufgegeben
08. August 2011 2011-08-08 18:39:18
Die Unsicherheit am Kapitalmarkt wird noch übertroffen von der Panik der Rettungseuropäer und der Angst der Notenbanker. Die Regierungen des Euroraums haben die Europäische Zentralbank unter Druck gesetzt, ihr Präsident Trichet ist eingeknickt. Unter Führung des Franzosen gibt die EZB ihre Unabhängigkeit auf, diese existiert nur noch auf dem Papier. Die Zentralbank steht jetzt im Dienst der Politik. Ob das Trichets Nachfolger, der Italiener Draghi, wird ändern können? Man muss hoffen, dass wenigstens der neue EZB-Präsident ein Geldpolitiker mit Rückgrat ist.
Eine Zeitlang hatte es so ausgesehen, als wolle die EZB ihren Fehler reparieren. Sie stoppte das Ankaufprogramm für Staatsanleihen Griechenlands, Irlands und Portugals. Der Ausstieg schien beschlossen, nachdem die Staats- und Regierungschefs der EU den Euro-Krisenfonds ermächtigt hatten, diese fragwürdige Aufgabe zu übernehmen. Die Idee hinter dieser Entscheidung war und ist richtig: Die Finanzierung von Staaten sollte wieder dorthin, wo sie hingehört, in die Hände der Fiskalpolitiker, die sich dem Votum der steuerzahlenden Bürger stellen müssen. Jetzt die Kehrtwende: Nun kauft die Notenbank sogar Staatsanleihen aus Italien und Spanien, nur weil dort die Renditen für zehnjährige Anleihen auf mehr als sechs Prozent gestiegen waren. Viel ist das nur im Vergleich mit dem neuen Maßstab von 3,5 Prozent, den die Gemeinschaft seit dem letzten Euro-Krisengipfel von Griechenland, Irland und Portugal für Kredite verlangt. Vor der Einführung des Euro haben Italien und Spanien wesentlich höhere Zinsen bezahlt, ohne den Weltuntergang zu beschwören.
Für den Tabubruch der EZB gibt es keinen geldpolitischen Grund, sondern nur das fiskalpolitische Ziel, die Zinsen für die Staatsschuldner Italien und Spanien zu reduzieren. Indem die EZB auf diesem Weg Staaten finanziert, wird sie zum finanzpolitischen Handlanger der Politik. Das ist ein Rückfall in die geldpolitische Steinzeit, als Zentralbanken politisch gesteuert wurden und der fehlende Sparwille der Politik durch das Anwerfen der Notenpresse ersetzt wurde. Weil dieses Vorgehen stets zu steigender Inflation und damit zu der Entwertung von Renten, Lebensversicherungen und Spareinlagen führte, achtet fast die ganze Welt die Unabhängigkeit einer Notenbank.
Die „Retter“ begründen den Eingriff mit einem diffusen Untergangsszenario. Herhalten müssen der Börsencrash sowie die Krise der Staatsschulden in Europa und Amerika, gerne auch die Furcht vor einer drohenden Rezession der Weltwirtschaft. Die aber ist nicht in Sicht. Mittlerweile wird die Frage, ob mit staatlichen Mitteln ein Kursrutsch an der Börse aufgefangen werden soll, gar nicht mehr gestellt. Auf die EZB-Käufe in Milliardenhöhe reagiert der Markt erst einmal wie gewünscht: der Zinsabstand schnurrt zusammen.
Manch einer ist regelrecht begeistert von der Aussicht auf „mehr“ Europa, worunter nicht nur in den Banktürmen verstanden wird, aus der Währungsunion vertragswidrig eine Transfer- und Fiskalunion zu machen. Mit den Anleihekäufen kommt man diesem Ziel ein gutes Stück näher. Gegen die Stimmen der Verfechter eines stabilen Euro aus Deutschland und den Niederlanden hat der geldpolitische Rat der EZB beschlossen, Staatsanleihen in großem Umfang zu kaufen. So landet ein Gutteil der italienischen Papiere, des drittgrößten Anleiheschuldners der Welt, in der Bilanz der Zentralbank und wird dort sozialisiert. Der deutsche Anteil liegt bei fast einem Drittel.
Der Kauf von Staatsanleihen senkt künstlich die Zinslast für Italien und Spanien. Im Gegenzug hat die EZB der italienischen Regierung die vage Zusage abgerungen, eine solidere Haushaltspolitik zu betreiben. Man muss die Welt durch eine rosa Brille sehen um zu glauben, dass nach einer solchen „Belohnung“ und nach der Ausschaltung der disziplinierenden Wirkung des Kapitalmarkts die Schuldensünder nicht mehr auf Pump leben wollen, wie sie es seit Einführung des Euro tun. Aus welchem Grund soll Italien nun die Schulden halbieren, wieso Spanien die Staatsausgaben senken? Warum sollen die Abgeordneten in den wenigen verbliebenen Geberländern gegen den Willen der Mehrheit der Bürger den Krisenfonds aufstocken oder echte oder verkappte Eurobonds einführen? Warum sollen Politiker ihre Wiederwahl gefährden, wenn sie in der EZB über eine dienstbare Institution verfügt, mit der ohne störende Transparenz und demokratische Kontrolle die Währungs- zur Haftungsgemeinschaft umgebaut werden kann?
Wenn Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit anderen Staatschefs entscheidet, dass kein Land aus der Währungsunion fallen darf (koste es, was es wolle), dann dürfen Regierungen die Folgen nicht bei der Geldpolitik abladen. Es geht um mehr als um die Glaubwürdigkeit der EZB, wovon ohnehin kaum etwas übrig ist. Es geht um das schwindende Vertrauen in den Euro, um den Flurschaden, der eintritt, wenn Kapital aus dem Währungsraum flieht. Und es muss die Gefahr einer schleichenden Enteignung durch den politisch scheinbar einfachen Weg der Inflationierung gebannt werden. Denn darunter leiden die Schwächsten immer am stärksten.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AFP, dpa
Kommentar: Tiefer Kratzer im
Europäische Zentralbank: Im Dienst der Politik
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